Ueli Maurer gibt auf. Der Bundespräsident hat seine Seite auf Facebook nach nur gut drei Monaten wieder gelöscht, wie die NZZ berichtete. Die Begründung dazu ist nicht weniger als bedenklich. Und sie zeugt davon, dass Ueli Maurer und seine Berater wohl nicht begriffen haben, welche Chancen ihnen soziale Medien bieten. Das gilt auch für andere Politiker - inklusive Bundesräte.
«Ich hätte mir mehr Substanz gewünscht», wird der Bundespräsident bei SRF zitiert. Und weiter: «Die Diskussionen hier wurden oft oberflächlich geführt». Das ist also die Begründung dafür, dass Ueli Maurer bzw. seine Kommunikationsleute das Engagement auf Facebook nach nur drei Monaten beenden. Ein Engagement, dass in diesen drei Monaten zu immerhin knapp 3000 «Likers» geführt hatte. Im Vergleich dazu: Eveline Widmer-Schlumpf (man erinnere sich: Sie war im letzten Jahr Bundespräsidentin) verzeichnet aktuell gut 1500 «Likers», also gut halb so viel. Ihr Profil auf Facebook ist aber um einiges älter.
Dieser rein quantitative Erfolg der Facebook-Seite von Ueli Maurer hat ihm und seinem Stab aber offenbar nicht ausgereicht.
Facebook ist effizienter als ein Schützenfest
Man könnte sich jetzt fragen, weshalb Facebook-Profile von so prominenten Persönlichkeiten wie Maurer und Widmer-Schlumpf keine grössere Resonanz finden. Eine mögliche Antwort findet sich auf dem Profil von Alain Berset: Dieser kann immerhin auf gut 8000 «Likers» zählen, verfügt zudem über einen Twitter-Account (mit knapp 9300 Followern). Übrigens: Alle anderen Bundesräte haben sich bisher offenbar den Reizen von Socialmedia ganz entzogen, es gibt nur gefälschte oder nicht bearbeitete Profile sowie Fan-Seiten von Drittpersonen.
Aber zurück zum Beispiel Berset: Die Socialmedia-Kanäle von Alain Berset «leben». Es entzieht sich meiner Kenntnis, wer diese Auftritte konkret bewirtschaftet (20 Minuten behauptet im Januar, er mache es selbst). Aber sie fühlen sich zum Teil sehr «persönlich» an (und das Gefühl zählt ja schliesslich). Da werden Meldungen von anderen PolitikerInnen durch Berset retweetet, da werden Handy-Fotos von öffentlichen Veranstaltungen (aus der Perspektive des Redners Berset natürlich!) gepostet, da gibt es «banale» (und damit zutiefst menschliche) Neuigkeiten zum Beispiel über eine neue App von MeteoSchweiz.
Alain Berset zeigt damit, was auf Facebook funktionieren kann: Politikerinnen und Politiker, gerade in hohen Ämtern wie Berset, Widmer-Schlumpf oder Maurer, können über Facebook ihre «menschliche» Seite präsentieren, können an ihrem Image und ihrer «Personality» arbeiten. Für mich ist das eine zentrale Aufgabe eines (demokratisch gewählten) Politikers. Und Facebook macht es einfach(er): Wenn Ueli Maurer jetzt betont, er möchte mehr Zeit für persönliche Kontakte nutzen, dann ist das in seinem Amt und mit seinem Terminkalender ja wohl vor allem ein hohles Versprechen. Natürlich kann Ueli Maurer an Veranstaltungen im ganzen Land Hände schütteln. Dabei erreicht er aber kaum Tausende von Menschen auf einmal, schon gar nicht in einem persönlichen Gespräch.
Natürlich kann Ueli Maurer an ein Schützenfest gehen, eine Ansprache halten und im Anschluss noch mit ein paar Leuten sprechen. Die Erfahrung zeigt aber, dass solche Politiker-Besuche a) meistens relativ kurz sind und b) die Gespräche vor allem mit Funktionären (dem Präsidenten der Schützengesellschaft etc.) geführt werden. Einen direkten Dialog mit dem «einfachen Volk» gibt es vielleicht am Rande, im Vorbeigehen, flüchtig.
Facebook hingegen ermöglicht diesen Dialog, wenn auch nur virtuell. Der Vorteil aber ist: Diesen Dialog können andere Menschen (ebenfalls nur virtuell natürlich) verfolgen. Ist der Dialog gut geführt, merken das nicht nur die Interagierenden selber, sondern auch alle Zuhörer/innen bzw. anderen Facebook-Fans.
Klar: Der Besuch am Schützenfest ist wünschenswert, persönliche Kontakte in «Fleisch und Blut» sind durch nichts zu ersetzen. Aber: Facebook bietet eine gute Möglichkeit, die Palette der Kontakte massiv zu erweitern, mit relativ wenig Aufwand.
Dialog heisst Arbeit und Kritik
Natürlich muss man Facebook dann auch nutzen, und zwar aktiv. Da reicht es nicht (und das steht in jedem noch so schlechten Socialmedia-Handbuch), wenn man einfach ab und an mal eine Meldung absetzt oder ein Bildchen postet. Soziale Medien sind sozial, weil sie die Interaktion vorsehen. Das funktioniert aber auch bei Widmer-Schlumpf und Berset nicht wirklich. Da stellen Facebook-User direkte Fragen - und warten vergeblich auf eine Antwort. Da formulieren User direkte Kritik - und warten vergeblich auch nur auf den Ansatz einer Replik. Nicht einmal ein «Dankeschön für den Beitrag» liegt drin.
Die Begründung dazu dürfte klar sein: Es fehlt die Zeit. Natürlich ist es illusorisch, dass ein Amtsträger selber den gesamten Dialog auf seinen Plattformen führt. Alle grossen Firmen und Politiker haben dafür einen Kommunikationsstab. Dieser aber müsste sich - das ist meine dezidierte Meinung - dann auch um die User-Kommentare kümmern.
Womit wir bei der heikelsten aller Fragen angelangt sind: Dem Niveau. Ueli Maurer hat natürlich recht, wenn er bemängelt, dass auf Facebook nicht nur akademisch gebildete Menschen verkehren und wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse ausgetauscht und erörtert werden. Natürlich muss - gerade ein Politiker - damit rechnen, dass er auf seinem Profil mit zum Teil sehr heftig formulierter und absolut ungerechtfertigter Kritik konfrontiert wird. Und natürlich gibt es Menschen, die soziale Netzwerke (meistens gleichzeitig mit den Kommentarspalten in Online-Medien) dazu missbrauchen, ihre persönliche Meinung (vom Parteibuch bis zur Verschwörungstheorie) gebetsmühlenartig zu wiederholen.
Solche Kommentare lassen sich nicht verhindern. Nicht auf Facebook, nicht am Schützenfest. Damit muss eine Politikerin oder ein Politiker einfach leben können. Das fehlende Niveau als Grund dafür anzuführen, dass man den sozialen Medien fern bleibt, das ist meines Erachtens deshalb eine «faule Ausrede».
Ganz abgesehen davon, dass sich soziale Medien häufig (weil sie ja eben sozial funktionieren) selber regulieren. Ewige Nörgler werden von anderen, interessierten Userinnen und Usern genau als das wahrgenommen, was sie sind - eben als ewige Nörgler. Man braucht vor solchen Kommentarschreiber/innen also keine Angst zu haben.
Wer aber sein Facebook-Profil löscht, nur weil es ein paar ewige Nörgler gibt, der brüskiert damit alle anderen Userinnen und User, die ernsthaft an einem Gedankenaustausch oder an Informationen interessiert sind. Kein Politiker verzichtet schliesslich auf einen öffentlichen Auftritt, nur weil es dort potentiell auch Gäste haben könnten, die dann dumme Fragen stellen oder sinnfreie Kommentare abgeben. Warum also Facebook meiden, wenn man am Schützenfest trotzdem dabei ist?
Auch Facebook braucht Zeit
Schliesslich gibt es aus meiner Sicht noch ein Killerargument gegen die Schliessung der Facebook-Seite von Ueli Maurer: Es ist schlicht zu früh, um von einem gescheiterten Versuch zu sprechen. Erst Ende Dezember 2012 verkündete die NZZ die Eröffnung der Facebook-Seite von Maurer. Bis zur Schliessung vergingen also nur etwa drei Monate.
Drei Monate reichen schlicht nicht aus, um eine «Community» aufzubauen, um eine Diskussionskultur auf der Seite zu entwickeln, um einen vernünftig zu beurteilenden quantitativen und qualitativen Erfolg zu generieren. Wenn dann in diesen drei Monaten auch noch auf aktiven Diskurs verzichtet wird (siehe oben), dann ist das Projekt natürlich zum Scheitern verurteilt. Daran trägt aber nicht Facebook, Socialmedia oder das dumme (Online-)Volk die Schuld, sondern der Verantwortliche für diesen Auftritt.
Fazit: Es ist schade, dass Ueli Maurer diese Chance vergibt und damit verpasst. Gerade Maurer, sein VBS und die Armee wären aktuell dringend auf konstruktiven Dialog angewiesen. Gerade Maurer, sein VBS und die Armee könnten eine Plattform zur Image-Pflege sehr gut gebrauchen. Hoffen wir für Maurer, sein VBS und die Armee, dass der Bundespräsident den nun fehlenden Dialog an Schützenfesten und dergleichen auch wirklich wieder wettmacht.
Disclaimer:
Der Autor vertritt in obigem Artikel seine persönliche Meinung aus Sicht eines Kommunikationsberaters. Er arbeitet zwar als Journalist bei SRF, ist aber nicht in die Berichterstattung über Armee-Themen und Bundespolitik involviert. Der Autor ist zudem als Miliz-Fachoffizier eingeteilt im Bereich Medienbildung.
Datenschutz:
Die Screenshots von Facebook sind bewusst nicht geschwärzt, da Facebook-Kommentare auf solchen Seiten von ihren Autoren ja für die Öffentlichkeit gedacht sind.
PS:
Socialmedia-Profi Thomas Hutter hat das Thema auf seinem Blog ebenfalls behandelt - in Form eines Briefes an den Bundespräsidenten. Ebenfalls sehr lesenwert, wie ich meine...
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Bastian (Montag, 02 September 2013 10:01)
Facebook ist mittlerweile für viele eine Chance geworden, die man auch nutzen sollte, so gut es geht, aber man sollte sich nicht nur darauf verlassen.