Journalisten brauchen Medienkritik: Aber wer soll es tun?

Hund blickt durch einen Gartenzaun, Sinnbild für Medienbeobachtung und Medienkritik.
(c) M. Grossmann / pixelio.de

Die Schweizer Medienszene diskutiert über die (fehlende) Medienkritik. Tatsächlich gibt es kaum (selbst-)kritische Publikationen zur Medienszene, Medienthemen kommen in der Publikumspresse wenn überhaupt nur am Rande vor. Das Problem: Keiner will den Wachhund spielen, oder aber das Gebell bleibt praktisch ohne Wirkung. Mein absolut persönlicher und unwissenschaftlicher Beitrag zur aktuellen Diskussion.

 

Eine kritische Beobachtung der Medienszene oder aber auch einzelner Beiträge und Artikel ist wünschenswert. Medienkritik kann durchaus eine Art Selbstregulation im Journalismus bewirken, vor allem wenn sie publik gemacht wird und auf Resonanz stösst. Eigentlich klar: Welcher Journalist wird denn schon gern an den Pranger gestellt!

Trotzdem gibt es mit Ausnahme des Presserats, der sich aber auch nur auf Antrag kritisch mit journalistischen Produkten befasst, kaum eine echte Instanz für Medienkritik im Land. Und die bestehenden Instanzen kämpfen zum Teil mit einem ernsthaften Problem: Man nimmt sie nicht ernst (genug).

 

Also: Wer soll, darf und kann Medienkritik formulieren?

 

Das Publikum

Naheliegend wäre es ja schon, dass sich Leserinnen und Zuschauer direkt mit den ihnen vorgesetzten Medienprodukten befassen würden. Im Redaktionsalltag geschieht das auch: Ab und zu ruft ein erboster Hörer bei mir an und beschwert sich über die Berichterstattung. Feedback ist aber äusserst selten und äusserst vorhersehbar für uns Journalisten: Bei Atom-Themen zum Beispiel melden sich regelmässig Atom-Gegner, die unsere Sendungen als verlängerten Arm der Atom-Lobby wahrnehmen. Natürlich melden sich auch die Atombefürworter, die uns Journalisten alle der Mitgliedschaft in der Grünen Partei verdächtigen und uns eine latente Anti-Atom-Stimmungsmache vorwerfen. Was mache ich als Journalist mit dieser Kritik? Richtig, ich nehme sie leicht erheitert zur Kenntnis. Wenn sich beide Seiten beschweren, dann kann mein Bericht ja nicht so falsch gelegen sein. Und ab in den Papierkorb damit.

 

Etwas ähnlich geht es mir oft bei Userkommentaren im Internet. Natürlich wird da das eine oder andere Mal auf die mangelhafte Recherche hingewiesen oder aber man unterstellt dem Medium irgendeine (nicht genehme) politische Gesinnung. Aber auch das kann als ernsthafte Medienkritik wohl kaum gelten.

 

Dem Publikum fehlt (oft) schlicht und einfach das Fachwissen, um eine fundierte Medienkritik abliefern zu können, die von Journalisten dann auch wirklich ernst genommen werden kann.

 

Natürlich gilt das nicht absolut: Eine mögliche Variante des Publikumsfeedback mit etwas grösserer Resonanz bieten zum Beispiel die Programmkommissionen der SRG-Trägerschaften. Als SRG-Journalist werde ich da mit ZuhörerInnen konfrontiert, die sich intensiver und damit (teil-)professionell mit Medien und ihrer Berichterstattung befassen. Ich erhalte Feedback, mit dem ich tatsächlich (oft) etwas anfangen kann.

 

Die Journalisten

Will man Fachkompetenz in der Medienkritik, dann braucht man also Fachleute. Das sind in diesem Fall natürlich Journalisten, die die Arbeit von Journalisten auch aus einer «inneren» Optik beurteilen können. Tatsächlich gibt es mit der Medienwoche oder dem wachsamen Medienspiegler Hitz oder gewissen anderen (Online-)Publikationen ja auch journalistische Medienbeobachtung. In Deutschland zum Beispiel bietet der Bildblog sogar sehr unterhaltsame Inhalte, die aber mit ihrer regelmässigen und auch auf Einzelfälle bezogenen Medienkritik für Journalisten durchaus einen alltäglichen Nutzen bringen.

 

Immer wieder schaffen es Medienthemen auch in die Publikumspresse, wenn zum Beispiel Christof Moser oder Patrik Müller in der «Schweiz am Sonntag» (mit eigenem Medien-Ressort) etwas schreiben. Ein wichtiger Faktor spielt heute auch der Microblogging-Dienst Twitter: Wie Nick Lüthi (Medienwoche) richtigerweise festhält, verschwinden immer mehr Watchblogs zu Gunsten der einfacheren, weniger regelmässigen und auf Einzelfälle bezogenen Medienkritik im Kurznachrichtendienst.

 

Doch ein Grundsatzproblem bleibt bestehen - unabhängig von Vektor oder Medienform: Wenn Journalisten Journalisten kritisch beobachten, dann birgt das auch immer ein gewisses Konfliktpotential. Klar: Wer lässt sich schon gerne von Berufskollegen öffentlich kritisieren? Leute wie die oben erwähnten müssen sich deshalb selber einer sehr genauen Beobachtung aussetzen: Wer andere kritisiert, wird schnell selber zur Zielscheibe von Kritik. Davor fürchten sich viele Journalisten.

 

In den Ausbildungsangeboten von SRF zum Thema Social Media zum Beispiel wurde mir klar gesagt, dass «Kollegenschelte» nicht wirklich erwünscht sei. Zu gross die Gefahr, selber zur Zielscheibe zu werden. Und irgendwie «gehört» sich das auch nicht, finden wohl viele aus der Branche.

Fazit: Journalisten verfügen zwar über die Fachkompetenz zur Medienkritik, gleichzeitig herrscht aber über weite Strecken eine gewisse «Bisshemmung», um beim Bild mit dem Wachhund zu bleiben.

 

Die Medienwissenschaft(er)

Es bleibt faktisch nur noch eine Berufsgattung, die aktiv und hemmungslos Medienkritik betreiben kann: Die Medienwissenschaft. Hier ist die notwendige Fachkompetenz vorhanden und eine «Bisshemmung» brauchen die von Bildungs- und Forschungsinsitutionen angestellen Wissenschafter keine zu haben. Sie arbeiten häufig nicht im Journalismus und müssen deshalb weniger «Gegenwehr» in Form von überkritischen Kollegen fürchten.

Tatsächlich äussern sich Wissenschafter wie Vinzenz Wyss oder Kurt Imhof ja auch regelmässig. Häufig natürlich nicht zu einzelnen Artikeln oder Geschichten, sondern vor allem zu den «grossen Linien», den generellen Veränderungen in der Medienlandschaft. Paradebeispiel ist das Jahrbuch von Imhof zur Medienqualität in der Schweiz.

 

Doch auch die Medienkritik aus der Medienwissenschaft hat einen Haken: Sie wird nämlich von vielen Kolleginnen und Kollegen nicht oder nur partiell ernst genommen. Die Reaktionen auf das Jahrbuch sprechen Bände: Kritik wird - wenn überhaupt - zur Kenntnis genommen und dann als unfair, voreingenommen oder praxisfern abgetan. Die meisten Verleger und Journalisten allerdings lassen die Debatte ganz einfach an sich vorüberziehen, wie auch Kurt Imhof selber beklagt.

 

Klar: Die medienpolitische Theorie hat mit der Alltagswirklichkeit auf Redaktionen wenig zu tun. Journalisten fehlt schlicht die Zeit für ständige publizistische Grundsatzdebatten. Und so hört man immer wieder, wie sich Kollegen leicht abschätzig lächelnd über die Medientheoretiker in ihren Elfenbeintürmen auslassen.

 

Die Lösung sind... die Vorgesetzten

Das Publikum kann's nicht, die Journalisten-Kollegen wollen's nicht, die Medienwissenschafter hört man nicht. Was ist die Lösung? Die Antwort ist so einfach wie kompliziert. Es braucht alle: Publikum, Journalisten und Medienwissenschafter. Der Diskurs über Qualität und publizistische Leitlinien im Redaktionsalltag muss geführt werden.

 

Er wird aber nur dann Früchte tragen, wenn die Vorgesetzten damit beginnen, Kritik von aussen ernst zu nehmen. Er wird nur dann Früchte tragen, wenn Vorgesetzte Anstösse aus Publikum und Medienwissenschaft in einen internen Diskurs ummünzen. Er wird nur dann Früchte tragen, wenn Verleger und Chefredaktoren sich diesem Diskurs auch wirklich stellen.

 

Das ist schnell geschrieben und wahnsinnig schwierig umzusetzen. Der erste Medienclub bei SRF hat es exemplarisch gezeigt: Zwar gibt es in einigen Redaktionen ausführliche theoretische Leitlinien (z.B. bei SRF), doch die Umsetzung dieser Regelungen ist eine alltägliche Herausforderung und gelingt nur über intensive, interne Debatten. Es reicht nicht aus, ein Handbuch im Büchergestell liegen zu haben, es braucht eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt. Diese Auseinandersetzungen kann ein Vorgesetzter erwirken, indem er nicht einfach Entscheidungen fällt, sondern Diskussionen anregt. Indem er Kritik von aussen nicht a priori als ungerechtfertigt ausschlägt, sondern diese gezielt an den Redaktionstisch bringt und eine Auseinandersetzung damit provoziert.

 

Womit wir beim Grundproblem angekommen wären: Viele Redaktionen haben schlicht keine Zeit mehr, um grundsätzliche Debatten führen zu können. Der alltägliche Produktionsdruck ist zu gross. Als Vorgesetzter schafft man sich viele Probleme vom Hals, wenn man Diskussionen deshalb im Keim erstickt. Denn sonst müsste man Zeit und Raum dafür schaffen.

 

Fazit: Es fehlt der Wille zur Medienkritik. Und zwar in den Medien selber. Wenn dieser Wille wieder erwacht, dann wird es plötzlich sekundär, wer die Kritik äussert. Publikum, Journalisten oder Medienwissenschafter. Und vielleicht würde auch wieder mehr Medienkritik geäussert, wenn man wüsste, dass sich Journalisten auch ernsthaft damit befassen (können und wollen).

 

PS: Dieser Beitrag zur Medienkritik-Debatte kommt ein bisschen spät. Aber wie erwähnt fehlt einem als Journalisten halt einfach die Zeit, sich mit Grundsatzfragen zu befassen...

Und wie üblich: Dieser Beitrag entspricht meiner persönlichen Meinung und nicht zwingend der Meinung des Unternehmens, bei dem ich angestellt bin. Und natürlich darf man widersprechen.

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Kommentare: 2
  • #1

    Astrid-Vera Schaffner (Montag, 08 Juli 2013 17:37)

    Ja, es gibt immer noch viel Lust im Medien-Bereich, auch im Mainstream – man muss bloss zunehmend danach suchen im riesigen Medien-Dschungel …

    Und der Frust scheint oftmals überhand zu nehmen: Allerorts Hopsasa & Tralala, ein extremer Rückzug der Medien ins Privat-Voyeuristische mit dem immer gleichen „Mantra“: „Nasen statt Inhalt!“ Jede Menge saftiger People-Storys, Content & PR. Viel spassig-emotionale Banalitäten, aber leider kaum echte Information, Horizont-Erweiterung, Erkenntnisse & Verbindlichkeit:

    Sonnendeck TV vom 03.07.2013 – Lust & Frust des Medien-Konsumenten:
    http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=IPe617_2hU0

    http://www.besser-fernsehen.ch
    http://www.besser-fernsehen.ch/sonnendeck-tv.html

    Liebe Grüsse & eine gute Zeit
    Astrid-Vera Schaffner

  • #2

    Wiener (Dienstag, 13 August 2013 10:51)

    Letztlich kann die Kontrolle nur durch un alle erfolgen. Die Presse wird ihrer Rolle schon langsam nicht mehr wirklich gerecht. Es ist dringend nötig, dass Qualitätsjournalismus wieder bezahlt wird! Dazu muss er für den Leser sichtbar werden. Derzeit kann ich den Unterschied zwischen guter und schlechter (und damit billigerer) Recherche nicht erkennen, solange alles nur seriös aussieht! Dazu gibt es allerdings ein neues Projekt (Medienranking).
    https://www.facebook.com/Medienranking
    http://medienranking.jimdo.com/