Ein Hoch auf das Lokal-Ressort

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(c) Rainer Sturm / pixelio.de

Das Sommerloch hat die Medienwelt fest im Griff. Am schlimmsten trifft es in diesen Wochen die Politik-Redaktionen und das Lokal-Ressort. Politiker weilen in den Ferien, Kommunen haben ihre Schalter geschlossen. In dieser Zeit trennt sich Spreu und Weizen bei den Journalisten: Besonders kreativ um Geschichten bemühen müssen sich die Lokal-Journalisten. Das Sommerloch beweist: Das Lokal-Ressort ist ein schwieriges Arbeitsfeld für Journalisten. Trotzdem ist es das beste Ressort überhaupt.

 

«Mein Ziel ist das Bundeshaus. Die Regionalredaktion ist ein guter Einstieg auf dem Weg zu diesem Ziel. Aber ich möchte natürlich nicht hier bleiben.» Mit dieser klaren Ansage hatte mich vor einiger Zeit ein Journalismus-Student in einem Bewerbungsgespräch überrascht. (Nein, er hat den Job in der Regionalredaktion nicht erhalten, wir gaben einer überzeugten Regionalredaktorin den Vorrang.) Das heisst: Wirklich überrascht hat mich die Aussage nicht, schon eher die platte Ehrlichkeit des Bewerbers. Denn es ist kein Geheimnis, dass in Journalisten-Kreisen das Regional- und Lokalressort nicht das höchste Ansehen geniesst.

 

Dieses schlechte Image hat das Lokal-Ressort aber nicht verdient. Denn es vereint die spannendesten Inhalte mit den herausfordernsten Bedingungen. Regionaler und lokaler Journalismus sollte nicht nur die «Einstiegsdroge» in diesen Beruf darstellen, sondern als Krönung desselben angesehen werden.

 

Die besten Geschichten sind lokale Geschichten

Ein wichtiges Relevanz-Kriterium ist die Betroffenheit. Ich interessiere mich als Leser, Hörerin oder Zuschauer für ein Thema, weil es mich betrifft. Ist diese Betroffenheit nicht gegeben oder verstehe ich sie nicht, dann zappe ich weg. So geschehen in der tagelangen Berichterstattung über den sogenannten Steuerstreit mit den USA. Da wurden Anwälte, Bankiers und Politiker über ein Vertragswerk ausgefragt, dessen Einzelheiten geheim bleiben mussten. Da wurden Hypothesen über mögliche wirtschaftliche Folgen aufgestellt, da wurden Experten und Korrespondenten in Bern, Brüssel und Washington über mögliche politische Konsequenzen befragt, da wurde über ein «automatischer Informationsaustausch» philosophiert, den ich noch heute nicht genau verstehe.

 

Und immer wieder habe ich mich gefragt: Warum sollte mich das interessieren? Ich habe kein Geld in den USA parkiert, ich arbeite nicht bei einer in den USA tätigen Schweizer Grossbank. Bin ich betroffen? Wahrscheinlich bin ich potentiell betroffen von dieser Geschichte, wie alle anderen Schweizer Steuerzahler auch. Aber so richtig einsichtig wurde mir das nie erklärt. Deshalb: Betroffenheitsfaktor Null. Interesse Null als Folge davon. Etwas überspitzt formuliert: Die ganzen Sendeminuten und Zeitungszeilen zu diesem Thema waren aus meiner Sicht verschenkt.

 

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Klar: Ein Scheunenbrand im Nachbardorf ist journalistisch kein Leckerbissen. Auf den ersten Blick.  Es fehlt das grosse Geld, die grosse Politik, das Gezänke der Parteien, die Drohungen von Steueranwälten aus New York. Und trotzdem: Wenn ich ehrlich bin, dann interessiert mich ein Brand im Nachbardorf eben doch mehr als dieser Steuerstreit. Warum? Weil ich vielleicht jeden Tag diese Unglücksstelle auf meinem Arbeitsweg passiere. Weil ich vielleicht sogar Menschen persönlich kenne, die in dieses Ereignis verwickelt waren. Weil ich vielleicht die Sirenen der Feuerwehr in dieser Nacht gehört habe.

 

Die Aufgabe des Lokaljournalisten besteht natürlich nicht nur darin, die Polizeimeldung über diesen Brand (mehr oder weniger wörtlich) abzutippen. Vielmehr muss der Anspruch sein, allfällige Geschichten hinter der Geschichte zu finden: Warum hat es gebrannt? Gibt es besondere Risiken, die zu solchen Bränden führen? Oder aber ganz banal: Wie geht es den Betroffenen, was sind die Folgen für sie?

 

Solche Geschichten werden gelesen, davon bin ich überzeugt. Denn die Nähe des Ereignisses führt automatisch zu Betroffenheit. Und wenn es gute, spannende Geschichten sind, die Lokaljournalisten aus den vermeintlich banalen Ereignissen heraus erzählen, dann werden sie erst recht gelesen.

 

Die besten Journalisten sind Lokal-Journalisten

Das ist die grosse Kunst im Journalismus: Gute Geschichten finden und diese dann gut erzählen. Talentierte Lokal-Journalisten sind echte Trüffel-Schweine: Sie finden in staubtrockenen gemeinderätlichen Mitteilungsblättern spannende Geschichten. Oftmals sind es diese kommunalen Publikationen, die sogar zu grösseren Recherchen Anlass geben: Und plötzlich ist die Geschichte nicht mehr lokal, sondern regional, kantonal oder sogar national interessant und relevant.

 

Journalisten sind Trüffelschweine: Lokaljournalismus (Blog) mvmedia - Schwein mit Schnauze am Boden.
Gute Lokaljournalisten sind echte Trüffelschweine. (c) Ich-und-Du / pixelio.de

Aber auch sonst ist der Lokal-Journalismus viel anspruchsvoller als man denken mag. Der ehemalige Fernsehdirektor Peter Schellenberg erklärte in einer seiner (launigen und stark vom Manuskript abweichenden) Reden zur Verleihung eines regionalen Medienpreises, der Job als Lokaljournalist sei viel schwieriger als der Job eines Ausland-Korrespondenten. Ich zitiere frei aus dem Gedächtnis: «Als Korrespondent in Vietnam können Sie in der Schweizer Zeitung über die Regierung dort schreiben, was sie wollen. Als Lokaljournalist aber haben Sie am Folgetag sofort eine Reklamation am Hals, wenn Sie einen Gemeinderat ungerechtfertigt angreifen.» Journalistische Tugenden wie Faktentreue, Anhörung der Gegenseite usw. sind im Lokal-Ressort oftmals um ein Vielfaches wichtiger als in der (inter-)nationalen Berichterstattung. Fehler werden sofort bestraft: Mit den Gemeinderäten in Ihrer Berichterstattungsregion haben Sie als Lokaljournalist täglich zu tun.

 

Deshalb ist die Arbeit im lokalen oder regionalen Ressort tatsächlich eine gute Journalisten-Schule, wahrscheinlich die beste Schule überhaupt. Auch deshalb ist es schade, dass immer weniger Journalisten die traditionelle Laufbahn einschlagen und ihre ersten Brötchen an den Turnerabenden und Gewerbeausstellungen dieses Landes verdienen. Kein Studium kann diese (harte) Schule ersetzen, glaube ich.

 

Der beste Job ist der Job als Lokal-Journalist

Zu guter Letzt sei noch darauf hingewiesen, dass die Arbeit im Lokal-Ressort nicht nur sinnvoll, lehrreich und herausfordernd ist, sondern vor allem auch wahnsinnig spannend und abwechslungsreich. Das Trüffel-Schwein muss Geschichten suchen: Es fehlen oft die professionellen PR-Maschinerien, die einem mit (gezielt verabreichten) Schlagzeilen eindecken. Das ist manchmal mühsam, wenn man Seiten oder Sendeminuten füllen muss. Es bietet aber auch einen riesigen kreativen Freiraum, fernab fremdbestimmter Agenden und organisierter Medienkonferenzen.

 

Die Themenvielfalt ist dabei so gross wie in keinem anderen Ressort: Natürlich sind alle Geschichten geografisch begrenzt. Man arbeitet ja schliesslich in seiner Gemeinde, in seiner Region. Aber inhaltlich gibt es kaum Grenzen: Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Unfälle und Verbrechen, Gesellschaft, People... was in anderen Redaktionen unzählige spezialisierte Journalisten leisten (müssen oder dürfen), macht der Lokaljournalist in Personalunion. Heute ist er Wirtschaftsjournalist und portraitiert eine innovative Firma aus der Region, morgen ist er Politik-Journalist und berichtet über eine Gemeindeversammlung, am nächsten Tag ist er Sportjournalist und berichtet über ein wichtiges regionales Fussball-Derby. Klar: Der Lokaljournalist kann sich in kaum einem Gebiet als absoluten Experten etablieren... aber er ist dadurch ein bisschen Experte für alles.

 

Nicht alles ist Gold was glänzt...

Ich stehe dazu: Ich bin ein überzeugter Regionaljournalist. Und ich bin ein überzeugter Leser (und Abonnent) einer wöchentlich zwei Mal erscheinenden Lokalzeitung. Trotzdem bin ich natürlich Realist und weiss um die Probleme im Lokalressort: Lokalzeitungen sind für ihre Verleger längst keine Goldgruben mehr und talentierte Journalist/innen suchen neue Herausforderungen in anderen Ressorts, meistens mit mehr Ansehen und mehr Lohn verbunden. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass Regionales und Lokales ein spannender Zukunftsmarkt darstellt im sich wandelnden Mediensystem (der Schweiz und Europas).

 

Lokalzeitungen werden vielleicht bald zu Blogs, die Verlagshäuser zu gemeinnützigen Stiftungen, die fest angestellten Journalisten zu freien Mitarbeitern auf Honorarbasis. Aber das Ressort wird überleben: Weil es die Menschen interessiert und fasziniert, was gleich um die Ecke so passiert.

 

Die regionalen und lokalen Medienhäuser ihrerseits könnten sicherlich zur gesunden Entwicklung des Ressorts beitragen: Indem sie jungen Journalistinnen und Journalisten ermöglichen, sich in diesen Ressorts auszubilden. Mit anständigem Gehalt und anständiger Ausbildung verbunden. Denn aktuell verliert leider vor allem das Lokal-Ressort vieler Schweizer Publikationen an Qualität: Weil es an qualifiziertem Personal für diesen Bereich mangelt (oder an Geld für dieses qualifizierte Personal). Offenbar setzen viele Verleger auf nationale Themenführerschaft (zum Beispiel mit mehr oder weniger aufwändigen Sonntagsausgaben) und vergessen dabei ihre ursprüngliche Stärke: Die Nähe zum Publikum. Nicht im übertragenen Sinn, sondern ganz konkret: Die geografische Nähe zum Publikum.

 

Disclaimer

Der Autor ist stellvertretender Leiter einer Regionalredaktion von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) und damit überhaupt nicht objektiv. Dieser Artikel enthält seine persönliche und private Meinung zum Thema. Kommentare (Anregungen, Kritik und Widerrede) sind erlaubt und erwünscht.

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