Mein Dorf soll ein Dorf bleiben

Beinwil am See
(c) beinwilamsee.ch

Ich bin ein Landei. Und ich bin es gerne. Ich mag die Ruhe, die Langsamkeit, die Weite. Und ich schätze es in einem Dorf zu leben, wo sich die Menschen noch gegenseitig kennen und helfen. Aber auch mein Dorf wächst. Und es droht damit seine Vorteile zu verlieren.

Ich wohne an einem der besten Orte, wie ich finde. Es ist schön hier, mit dem See vor der Tür und den Alpen in der Ferne. Es ist ruhig hier: Ein idealer Ort um nach Arbeitsstress und städtischer Hektik wieder zu sich zu finden. Und es ist im wahrsten Sinne des Wortes heimelig, wenn man an einen Ort kommt, wo sich die Menschen kennen. Es fühlt sich gut an, wenn man auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause immer wieder gegrüsst wird, ein paar Worte wechseln kann. Und sei es nur übers Wetter.

 

Diese Vertrautheit in einem Dorf kann natürlich nerven: Zum Beispiel, wenn man aus welchen Gründen auch immer plötzlich zum Thema wird am Stammtisch. Diese Vertrautheit führt aber auch zu einer gewissen Solidarität: Es gehört sich, dass man die Kollegen aus der Musikgesellschaft an ihrem Jahreskonzert besucht. Auch wenn man kein Fan von Blasmusik ist. Auf der anderen Seite aber brauche ich am Wochendende keinen teuren Notfalldienst bei einem Problem mit meiner Heizung: Man kennt im Dorf immer einen, der für dieses Problem eine (günstige) Lösung hat.

 

Nicht nur mir gefällt es da, wo ich lebe. Deshalb ist das Dorf in den letzten Jahren massiv gewachsen. Dieses Wachstum aber gefährdet die Vertrautheit. Man kennt sich nicht mehr zwingend - es hat einfach zu viele Leute, die man kennen müsste. Man kennt sich aber auch nicht mehr zwingend, weil viele Einwohnerinnen und Einwohner praktisch nur die Nacht in diesem Dorf verbringen. Sie arbeiten tagsüber in der Stadt und kommen nur zum Schlafen ins Dorf.

 

Solche Leute engagieren sich oft auch nicht im Dorf: Sie sind in keinem Verein mehr dabei. Und deshalb wissen sie auch nicht, dass «man» in unserem Dorf ans Jahreskonzert der Musikgesellschaft geht. Auch wenn man Blasmusik gar nicht mag. Nach der Vertrautheit verschwindet auch die Solidarität.

 

Mein Dorf wird immer mehr zu einer Stadt. Es verliert einige seiner wesentlichen posiviten Charakterzüge. Das ist schade und eigentlich müsste man etwas dagegen tun können. Gefordert ist die Raumplanung, gefordert ist die lokale Politik, gefordert sind die «Neuzuzüger», die sich aktiv integrieren sollten, gefordert sind aber auch die Alteingesessenen, die eine aktive Integration zulassen müssen.

 

Und dann merke ich auf dem Weg vom Bahnhof zu meinem Haus plötzlich, dass auch ich gefordert bin: Auch ich habe eine Mitgliedschaft im Männerchor vorläufig abgelehnt. Wöchentliche Gesangsproben sind mir zu viel, ich engagiere mich ja schon im kommunalen Kerzenziehen-Verein. Und ganz ehrlich: Das vorletzte Jahreskonzert der Musikgesellschaft habe auch ich verpasst. An einer Gemeindeversammlung war ich auch schon länger nicht mehr.

 

Ich winke dem nächsten Passanten zu und nehme mir vor, die nächste Versammlung wieder zu besuchen. Wirklich.

 

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