Eine 30-jährige Lehrerin hat eine sexuelle Beziehung zu einem 17-jährigen Schüler. Sie wird entlassen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Ein Thema für die Medien? Natürlich. Und wie!
Gewisse Titel drehen die Story aus dem Wynental über Tage weiter. Zu Recht? Natürlich nicht! Denn erzählt sind die Fakten schnell. Was anschliessend kommt, sind nur noch Gerüchte. Und Gerüchte
haben nun wirklich nichts verloren bei Zeitungen und Nachrichtenportalen.
Meine Lokalzeitung «Wynentaler Blatt» hat mir aus dem Herzen geschrieben: Eine «Hexenjagd» hätten gewisse Medien veranstaltet nach dem Bekanntwerden des «Fall Unterkulm», schreibt Redaktor Martin Sommerhalder. Leider nur in der gedruckten Ausgabe vom Dienstag, 17.2.2015.
Klar ist, dass das Thema zwar vielleicht interessant ist, aber gemäss aktuellem Informationsstand kaum Relevanz hat. Die Lehrerin hat ausser diesem Vergehen solide Arbeit geleistet, war beliebt,
wie überall zu lesen ist. Sie ist entlassen worden, es besteht also keine «Gefahr» mehr für die Schüler. Die Staatsanwaltschaft dürfte das Verfahren bald einstellen - die Beziehung war ja
offenbar einvernehmlich, wie ebenfalls alle schreiben.
Klar ist auch, dass verschiedene Titel mit ihrer Berichterstattung vor allem männliche, sexuelle Fantasien angeregt haben. Das dürfte denn auch der wahre Grund für die äusserst ausführliche Behandlung dieser Bettgeschichte sein. Die «Sex-Lehrerin» (Blick) ist wohl einfach ein zu «sexy» Klick-Generator, als dass man sie mit einer kurzen Meldung abhandeln könnte. Das bestätigen auch die unzähligen Experten, die sich zum Thema geäussert haben.
Klar ist für mich zudem, dass die Veröffentlichung eines Fotos der Lehrerin (mit dem berühmten, aber völlig nutzlosen schwarzen Balken natürlich) und sogar eines (verpixelten) Klassenfotos in verschiedenen Medien völlig überflüssig war.
«Anscheinend», «behauptet» einer anonym
Über die Relevanz der Geschichte kann man also streiten. Über die Aufmachung der Geschichten in einzelnen Medien auch. Eindeutig falsch aber ist es aus meiner Sicht, wenn Medien in einer solch
delikaten und persönlichen Angelegenheit auch noch reine Gerüchte verbreiten. Und diese dann auch noch weiter verbreitet werden.
Ein anonymer Mitschüler behauptet, die gute Frau habe schon vorher «etwas gehabt» (so steht's im Titel) mit anderen Schülern. Das habe jeder gewusst, meint er noch. Nur der Schulleiter offenbar nicht, der immerhin in besagtem Artikel (und im entsprechenden TV-Bericht) dann auch noch kurz zu Wort kommt.
Weiter im Text: Es sei «anscheinend» nicht die erste Beziehung gewesen, schreibt der unbekannte Autor. Und zitiert den Schüler dann mit dem vielsagenden Satz: Es seien «zum Teil mehrere Schüler» gewesen, mit denen die Lehrerin «körperliche Nähe gehabt» habe. Was auch immer das heisst: Vielleicht hat sich die Frau ja über das Pult der Schüler gebeugt, um ihnen die Hausaufgaben zu erklären. Zum Beispiel. Oder aber sie hat sich einfach sehr engagiert und interessiert für (alle?) ihre Schüler, wie es der Schulleiter schildert.
Natürlich darf man Gerüchte verbreiten...
... auch als Journalist. Aber dafür braucht es aus meiner Sicht einen sehr triftigen Grund. Ein überaus wichtiges Thema von höchstem allgemeinem Interesse. Ein grosser Informationsbedarf also, der gedeckt werden will.
Wenn man dann - klar gekennzeichnet - einzelne Gerüchte in die Berichterstattung aufnimmt und gleichzeitig einordnet (wie glaubwürdig sind die Quellen?), dann mag das im Einzelfall durchaus
gehen. Ein Beispiel ist die Kriegsberichterstattung aus oft unübersichtlichen Gebieten mit unsicherer Quellenlage: Hier können Gerüchte - eingeordnet - durchaus einen gewissen Informationsgewinn
darstellen.
Der seriöse Journalist wird sich aber immer fragen müssen, ob er sich mit der Verbreitung von Gerüchten nicht selber diskreditiert. Gemäss Schweizer Journalisten-Kodex sind wir Journalisten der Wahrheit verpflichtet: «Sie halten sich an die Wahrheit» steht klipp und klar in der Erklärung der Rechte und Pflichten von Journalisten (Presserat). Und weiter: «Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen». In diesem Punkt verletzt der oben genannte Artikel vielleicht sogar die Standesregeln.
Schliesslich verlangt der Kodex auch noch die Respektierung der Privatsphäre, ausser bei Personen des öffentlichen Lebens. Man könnte vortrefflich darüber streiten, wie öffentlich diese Lehrerin
ist. Inzwischen ist sie es definitiv.
Das ist nicht nur meine Meinung
Kurz und gut: Boulevard-Journalismus ist Geschmacksache. Die Verbreitung von anonym erhobenen Vorwürfen aus fragwürdiger Quelle aber ist journalistische Nachlässigkeit. Das sollte nicht
passieren.
Immerhin: Verschiedene Online-Kommentatoren (und die stellen ja immerhin einen Teil der Medien-Konsumenten dar) äusserten sich ganz ähnlich. Die Art und Weise der Berichterstattung
wurde zum Teil heftig kritisiert. Klar: Diese Kommentatoren haben alle den Artikel offenbar gelesen. Die Klick-Maschine hat also funktioniert. Allerdings blieben sie offensichtlich
etwas verstört zurück. Ihr journalistisches Verständnis hat also auch funktioniert. Und das finde ich beruhigend.
Das im Artikel erwähnte «Wynentaler Blatt» hat inzwischen das Interview mit der zuständigen Schulpflege-Präsidentin integral online gestellt. Einige offene Fragen werden hier beantwortet - und
die Rolle gewisser Medien rückt sogar in ein noch schlechteres Licht... von wegen «in flagranti erwischt»... offenbar ist nicht einmal dieser Teil der Geschichte wirklich
bestätigt.
Disclaimer:
Dieser Artikel stellt die persönliche Meinung des Autors dar. Diese Meinung ist nicht die offizielle Haltung des Arbeitgebers des Autors.
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Vince Dashner (Samstag, 04 Februar 2017 01:24)
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