Regelmässig darf ich Besucherinnen und Besucher empfangen im Regionalstudio Aargau Solothurn von Schweizer Radio und Fernsehen. Und regelmässig beantworte ich im Rahmen dieser Besucherführungen die gleichen Fragen zum Journalismus beim «öffentlichen Rundfunk». Es gibt Vorurteile, Klischees und Fehlinformationen, die ich nicht oft genug widerlegen kann. Deshalb tue ich es hier auch in schriftlicher Form.
SRF ist «Staatsradio» und «Staatsfernsehen»
Ich erhalte meinen Lohn nicht von der Bundesverwaltung, ich bin auch kein Beamter. Und nein, weder Bundesrat noch kantonaler Regierungsrat sagen mir, worüber und wie ich zu berichten habe. Die Mär vom «Staatssender» ist zwar weit verbreitet und vielfach wiederholt, aber sie bleibt dennoch falsch.
Die SRG ist als Verein organisiert - was übrigens wohl einzigartig sein dürfte. Wir sind also streng genommen nicht einmal ein öffentlich-rechtlicher Sender. Dieser Verein - bei dem Sie alle auch Mitglied werden können - betreibt das Medienunternehmen SRG mit ihren Tochterfirmen SRF, RSI, RTS, RTR. Damit ist garantiert, dass wir Journalist/innen absolut unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Interessen arbeiten können.
Richtig ist aber: Unsere Berichterstattung basiert auf einem öffentlichen Auftrag. In der Verfassung, im Radio- und Fernsehgesetz und in der Konzession (vom Bundesrat) sind Regeln festgeschrieben, wie wir zu arbeiten haben. Diese Regeln sind nicht sehr detailliert, aber ganz klar. Sie geben uns die Leitplanken vor für unsere tägliche Arbeit, definieren z.B. Qualitätsansprüche. Innerhalb dieser Leitplanken aber sind wir absolut frei.
Was es bedeutet, wenn sich die Politik bei den öffentlichen Medien einmischen kann, ist aktuell in unserem Nachbarland Österreich zu beobachten. Dort steht ein einzelner ORF-Moderator derzeit unter Beschuss - weil er kritische Fragen stellt. Dort versucht die Politik, ihren Einfluss auf die redaktionelle Arbeit auszubauen. Das kann der SRG - zum Glück - in dieser Form nicht passieren, unserer wirklich einzigartigen Struktur sein Dank.
SRF-Journalisten haben es bequem
Unser Beruf hat allgemein mit diesem Vorurteil zu kämpfen, wie eine schriftliche Äusserung von Kurt W. Zimmermann beweist. Und natürlich gilt generell festzuhalten, dass für stundenlange Recherchen und philosophische Debatten in einer Redaktion heute keine Zeit mehr ist.
Wann war @kurtwzimmermann das letzte Mal auf einer Redaktion? 1987? pic.twitter.com/WTOTuPZ2cL
— Patrick Kühnis (@pakTagi) 11. Mai 2017
Insbesondere ist das Klischee des ziemlich relaxten SRF-Journalismus bei Kolleginnen und Kollegen der privaten Konkurrenz weit verbreitet - ich höre es unter anderem bei Bewerbungsgesprächen. Ja, es haben schon Journalist/innen zur Regionalredaktion von SRF wechseln wollen, auch weil sie glaubten, bei uns gebe es weniger Stress... (Nein, diese Leute haben den Job nicht gekriegt)
Die Regionalredaktion Aargau Solothurn von Radio SRF hat täglich 2-3 Reporter/innen im Einsatz. Diese liefern zwei News-Beiträge (Richtlänge 2-3 Minuten) pro Tag oder einen Akzentbeitrag (6-8 Minuten) pro Tag. Der Akzentbeitrag beinhaltet in der Regel mehrere Auskunftspersonen, welche an diesem Tag besucht werden (Interviews vor Ort). Zusätzlich zum Radiobeitrag liefert ein/e Reporter/in bei uns auch immer gleich Bilder (Foto und/oder Video) und einen Text für den Online-Artikel. In der Regel gestaltet der/die Reporter/in den ganzen Online-Artikel selber.
Fazit: Ein ehemaliger Mitarbeiter eines grossen Schweizer Privatradios erklärte mir einige Wochen nach seinem Wechsel in unsere Redaktion. «Ich hätte nie gedacht, dass man bei Euch noch mehr arbeiten muss als beim Privatradio.»
Aber natürlich investieren wir tatsächlich etwas mehr Ressourcen in den Informationsjournalismus als die meisten privaten Konkurrenten (im Radiobereich). Zum Beispiel investieren wir einen Tag pro Woche in die Planung der Akzentbeiträge (Reportagen, Hintergrundberichte, aufwändige Recherchen etc.). Wir pflegen Radioformate, welche bei Privatsendern inzwischen leider praktisch verschwunden sind (längere Gespräche von bis zu 20 Minuten zum Beispiel), die ebenfalls vorbereitet werden müssen.
Kurz: Ja, SRF investiert insgesamt mehr Zeit und damit Geld in das News- und Informationsprogramm. Aber die einzelnen Redaktor/innen, die müssen genau so viel und genau so schnell arbeiten wie bei anderen Medienhäusern auch.
SRF-Journalisten sind alle politisch links
Richtig ist, dass gemäss Umfragen der ZHAW eine Mehrheit aller Journalistinnen und Journalisten sich selber als links oder linksliberal positionieren. Das hat wohl auch damit zu tun, dass eine Mehrheit der Journalist/innen z.B. einen Studienabschluss hat und aus eher städtischen Gebieten stammt. Richtig ist aber auch, dass sich die Medienlandschaft insgesamt in den letzten Jahren wohl eher nach rechts bewegt hat, wie andere Beobachter feststellen.
Richtig ist natürlich auch, dass es z.B. in meiner Redaktion Mitarbeitende gibt, die sich klar links positionieren in privaten Gesprächen. Aber: Es gibt auch Mitarbeitende, die sich klar rechts bzw. bürgerlich positionieren in privaten Gesprächen. Und am Redaktionstisch stehen sich damit die wesentlichen im Volk vertretenen politischen Positionen täglich gegenüber und werden (zum Teil laut, intensiv und lange) ausdiskutiert. Damit garantieren wir, dass wir als Journalist/innen alle wesentlichen Fragen stellen und nicht nur die, die uns persönlich interessieren.
Wir versuchen, unsere Berichterstattung so objektiv wie möglich zu gestalten. Mit Diskussionen im Vorfeld, mit einer strikten Qualitätskontrolle (4-Augen-Prinzip) vor der Ausstrahlung der Beiträge, mit einem intensiven Feedback im Nachgang.
Übrigens: Immer wieder schreiben mir Hörer/innen, wir hätten eine linke Gesinnung durchblicken lassen in einem Beitrag. Kaum je aber liefern diese Hörer/innen (auf meine Nachfrage hin) einen Hinweis, woran sie das genau festmachen. Kurz: Es fehlen reale Belege.
Und noch etwas: Nein, wir SRF-Journalisten sind nicht alle Mitglieder bei der SP. Auch diese Frage taucht immer wieder (durchaus ernsthaft) auf. Aber ich kann Sie beruhigen: Politische Ämter und aktive Parteizugehörigkeit ist für Informationsjournalisten in diesem Medienhaus tabu. Und das ist natürlich auch absolut richtig so.
SRF macht das gleiche Programm wie andere auch
Natürlich gibt es Themen, an denen kein Informationsmedium vorbei kommt. Wenn die Aargauer Regierung ein Rekord-Defizit in der Staatskasse präsentiert, dann berichten alle seriösen Aargauer Medien darüber. In diesem Fall stimmt es, dass SRF (Regionalredaktion) und die AZ Medien (Aargauer Zeitung, Radio Argovia, Tele M1) über dasselbe Thema berichten. Und auch das Regionalbüro der Schweizerischen Depeschenagentur sda ist in so einem Fall präsent - und beliefert die restlichen Schweizer Medien mit Texten zu diesem Thema.
Die Frage ist aber, berichten in diesem Fall auch tatsächlich alle dasselbe? Häufig nicht. Wenn sich verschiedene Journalisten um ein Thema kümmern, dann unterscheiden sich ihre Berichte zum Beispiel durch andere Zugänge oder andere Fragen, mindestens aber durch andere Formate. Und ja, das macht Sinn. Denn das nennt man Medienvielfalt. Ein wirklich interessierter Konsument wird in diesem Fall mehrere Medien konsultieren und sich aus den verschiedenen Berichten mit unterschiedlichen Ansätzen erst ein eigenes Bild der Lage machen wollen.
Beispiel: Das geplante Aarauer Fussballstadion im Torfeld Süd soll kein Einkaufszentrum als Mantelnutzung erhalten, sondern drei hohe Wohntürme mit rund 450 Wohnungen. Klar: Das ist ein wichtiges Thema für alle regionalen Medien. Die Aargauer Zeitung berichtet breit und vielfältig über das Thema. Die SRF-Regionalredaktion aber beleuchtet einen Aspekt speziell: Die Frage nämlich, ob die Stadt Aarau überhaupt so viele neue Wohnungen braucht. Wer sich also wirklich stark für dieses Thema interessiert, der tut gut daran, mehrere Medien als Informationsquelle zu nutzen. Und das ist auch richtig so.
Selbst wenn wir das Gleiche tun, dann tun wir es also nicht gleich wie die anderen. Und das gilt selbstverständlich auch umgekehrt: Auch die Journalistinnen und Journalisten unserer privaten Konkurrenz haben natürlich den Anspruch, eigene Zugänge zu finden.
SRF und insbesondere meine Regionalredaktion setzen auch ganz bewusst auf andere Themen. Wenn die private Konkurrenz eine Geschichte «gross fährt», selber also dran bleibt und weitere Recherchen tätigt, dann «springen wir nicht auf», sondern überlassen diese Story der Konkurrenz. Unsere Redaktorinnen und Redaktoren recherchieren in dieser Zeit lieber eigene Geschichten, welche die private Konkurrenz eben nicht hat.
Nur ein kleines Beispiel: Die lokal verankerte Zeitung publiziert zu den Gemeindewahlen 2017 im Aargau natürlich einzelne Artikel über einzelne, spannende Wahlen. Die SRF-Regionalredaktion kann diesen Service nicht leisten, da sie personell zu wenig Kapazitäten hat und zu wenig Sendezeit für diesen lokalen Zugang. Die Gemeindewahlen werden deshalb aus einer anderen Perspektive allgemein beleuchtet - mit einem hintergründigen Beitrag (siehe Audio) über die Rekrutierungsbemühungen der Kantonalparteien.
Damit erreichen wir nicht nur eine Vielfalt an Perspektiven, sondern tatsächlich auch eine Vielfalt an Themen. Und nochmals: Genau das ist Medienvielfalt. Eine aus meiner Sicht unabdingbare Grundlage für eine direkte Demokratie. Denn nur ein gut und damit breit informiertes (Stimm-)Volk ist in der Lage, seine politischen Pflichten seriös wahrzunehmen.
Ich schreibe am liebsten über meine eigene Redaktion, wie die Beispiele oben zeigen. Weil ich da wirklich Bescheid weiss. Wer das Gesamtprogramm von SRF (Radio und TV) mit dem Angebot anderer Schweizer Medienhäuser vergleicht, wird aber unschwer feststellen, dass die Grundsätze aus meiner Redaktion auch für den Rest des Programms gelten.
SRF bietet in vielerlei Hinsicht ein ergänzendes Angebot zu den anderen Medienhäusern im Land. Oder kennen Sie einen privaten TV-Sender, der lange philosophische Gespräche im Programm hat? Oder einen privaten Radiosender, der einstündige Reportagen zu gesellschaftspolitischen Fragen sendet? Oder eine Unterhaltungssendung, welche aus beeindruckenden Bildern und Begegnungen mit einheimischer Landschaft und Bevölkerung besteht?
Fazit
Ein demokratisches Land wie die Schweiz ist aus meiner Sicht auf ein vielfältiges Medienangebot angewiesen. Dazu gehört eine gesunde Konkurrenz zwischen Journalistinnen und Journalisten, ein gegenseitiger Ansporn, noch bessere Geschichten zu finden und zu erzählen.
Wäre der Medienmarkt in unserem Land so gross wie der Medienmarkt in Deutschland, dann könnte man vielleicht auf ein gebührenfinanziertes Angebot in den Regionen verzichten. Aber dem ist nun mal nicht so: In meiner Region gäbe es keine Konkurrenz mehr bei lokalen und regionalen Themen, wenn die SRG und damit auch die Regionalredaktionen von SRF nicht mehr existierten.
Private Medienhäuser und die SRG sind in diesem - publizistischen - Sinne aufeinander angewiesen: Weil wir nur im gemeinsamen Konkurrenzkampf wirklich guten, vielfältigen Journalismus produzieren. Und darauf kommt es - aus meiner Sicht - eben an.
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