Vom Bürogummi zum Handwerker: Was mich mein Jobwechsel gelehrt hat

Seit einem knappen Jahr arbeite ich nicht mehr als Journalist und Redaktionsleiter, sondern als Veranstaltungstechniker. Dieser Jobwechsel hat mich persönlich viel gelehrt. Über mich, aber auch über die Arbeitswelt und die Gesellschaft. Wie so oft haben sich einige Vorurteile überhaupt nicht bestätigt. Das ist ein persönlicher Beitrag, der vielleicht zum Denken oder zu Widersprich anregt. 

Mein Weg vom Journalisten zum Veranstaltungstechniker: Maurice Velati nach seinem Jobwechsel
Bild: SRG Aargau/Solothurn Daniel Desborough / Instagram

 

Man könnte sagen: Er ist vom Bürogummi zum Handwerker geworden. In meinem Job als Redaktionsleiter und Journalist habe ich Konzepte verfasst, Strategien (mit)entwickelt, habe Meetings geleitet und Personalgespräche geführt, habe Entscheidungen getroffen am Schreibtisch. Ich hatte Rückenschmerzen vom vielen Sitzen.

 

Als Veranstaltungstechniker bin ich nun an verschiedenen Events unterwegs, transportiere schwere Kisten mit technischem Equipment aus dem Lager auf die «Baustelle», wuchte Lautsprecher auf Stative, stecke Kabel zusammen, bin bei Wind und Wetter draussen. Ich habe Rückenschmerzen vom schweren Tragen.

 


Die Redaktion Happy Radio von Kanal K hat mich zu meinem Jobwechsel befragt. Wohl auch durch dieses Interview habe ich den Drang verspürt, einige Gedanken an dieser Stelle aufzuschreiben. Ich danke Peter für das Gespräch und verlinke hier gerne auf den Podcast der Sendung (das Interview ist der erste Programmpunkt der Sendung, nach gut 5 Minuten). 


 

Natürlich stimmen diese Bilder nur zum Teil: Als Journalist war ich ebenfalls oft stundenlang unterwegs auf Reportage. Als Veranstaltungstechniker sitze ich oft stundenlang an einem Mischpult und sorge sitzend für guten Sound. Zudem arbeite ich auch weiterhin als Moderator von Veranstaltungen und kümmere mich in der Eventtechnik-Firma auch ums Marketing - arbeite also weiterhin vor dem Bildschirm.

 

Und doch war der Wechsel vom Bürojob zum Handwerk auch für mich mit vielen Unsicherheiten verbunden: Denn als «Bürogummi» hatte ich stets grossen Respekt vor der «richtigen Arbeit». Dieser Respekt ist geblieben, aber - ganz ehrlich - auch etwas verblasst.

 

Stress gibt es überall, aber anders

Als Veranstaltungstechniker können die Tage sehr lang werden: Die Technik für einen Event muss stehen und funktionieren, wenn die Show beginnt. Da ist es unerheblich, ob man 8 oder 12 Stunden arbeitet. Es muss einfach gemacht sein. Solche langen Tage mit körperlicher Arbeit sind anstrengend, ohne Zweifel. Und doch stimmt das häufig verbreitete Bild von den «faulen Bürogummis» und den «fleissigen Handwerkern» eben nicht.

 

Im Büro hatte ich als Führungsperson (mit unzähligen Aufgaben) und als Journalist (der ebenfalls auf fixe Termine hin arbeiten muss) ebenfalls 12-Stunden-Tage. Manchmal praktisch ohne Pause. Am Abend war ich hundemüde, geschafft, obwohl ich «nur» mit dem Kopf gearbeitet hatte. Im Gegensatz zum Büro - so mein ganz persönlicher Eindruck aufgrund der eigenen Erfahrungen - wird beim Handwerk etwas mehr Wert auf Pausen gelegt. Das ist vernünftig und notwendig. Aber es zeigt eben doch, dass wahrscheinlich Firmenkultur und Arbeitsorganisation den grösseren Einfluss haben auf die eigene Gesundheit als die Frage, ob man im Büro oder draussen arbeitet.

 

Erkenntnis Nummer 1 für mich: Kopfarbeit ist ebenso anstrengend wie körperliche Arbeit. Nur eben anders. Nach einem anstrengenden Tag als Veranstaltungstechniker schlafe ich erschöpft ein, aber die früher oft kreisenden Gedanken im Kopf habe ich nicht mehr. Die Rückenschmerzen bleiben, aber aus anderen Gründen.

 

Verantwortung tragen ist tatsächlich eine Last

Erst nach einigen Monaten im neuen Job ist mir klar geworden, warum ich mich nach dem Jobwechsel etwas «befreit« fühlte. Der Grund für meine Erleichterung war nicht, dass ich die darbende Medienbranche mit dem stetig wachsenden Spardruck verlassen habe (auch in meiner neuen Branche wächst das Geld nicht an den Bäumen). Es ist die Tatsache, dass ich in meinem neuen Job wieder «normaler Angestellter» bin.

 

Die Verantwortung für mehr als 20 Mitarbeitende (und damit sind Menschen gemeint, nicht Nummern), die mehr oder minder ständige Erreichbarkeit zur Lösung von kurzfristigen Problemen, die ständige innerliche Auseinandersetzung mit dem Wohlergehen von Teamkollegen und Firma - diese Verantwortung hat mich viel stärker belastet, als ich mir während meiner Laufbahn in der Medienbranche eingestanden habe.

 

Es gibt - davon bin ich inzwischen überzeugt - einen guten Grund dafür, dass Führungspositionen gut oder besser bezahlt sind. Das sprichwörtliche Tragen von Verantwortung ist tatsächlich eine Last. Ich verdiene in meinem Job weniger als vorher, aber diese Einbusse lohnt sich für mich persönlich, denn ich schlafe besser. Mein Appell lautet deshalb: Respektiert (engagierte und gute) Führungspersonen. Sie haben es verdient.

 

Klein vs. Gross: Flexibilität vs. Sicherheit

Mir geht es gut im neuen Job. Ich schätze es sehr, dass ich nun in einem kleinen KMU arbeite, das sehr flexibel und schnell agieren und reagieren kann. Ich trage damit natürlich eine (Mit)Verantwortung für das Wohlergehen auch dieser Firma, aber ich fühle mich im Gegensatz zum Grossunternehmen auch handlungsfähiger. Meine Ideen müssen keinen langen «Dienstweg» mehr nehmen, Agilität wird hier nicht in aufwändigen Projekten diskutiert, sondern aus der Not heraus bereits weitgehend gelebt. 

 

Klar: Beim Grossunternehmen ist vieles geregelt, was im kleinen KMU nun jeweils im Gespräch mit dem Chef geklärt werden muss. Eine grosse Herausforderung ist die Planung von Arbeitslast und Arbeitszeit, denn die Volatilität im Event-Business ist unglaublich gross und meine Firma klein: Mal arbeitet man wochenweise pausenlos durch, dann sind die Auftragsbücher und die Kalender plötzlich leer. Für mich wiegen die Vorteile der kleinen, wendigen Firma die Nachteile aktuell aber auf.

 

Den Mutigen gehört das Leben

So oder so hat sich der Wechsel für mich gelohnt: Schon nur deshalb, weil es ein Wechsel ist. Ich habe mehr als 20 Jahre für SRF gearbeitet und meinen Job (und auch diese Firma) geliebt. Viele Menschen in meinem Umfeld haben meinen Entscheid deshalb kaum nachvollziehen können. Und auch ich selbst habe längere Zeit gezögert, diesen Schritt zu wagen. Den Schritt auf ein neues, mir (zumindest als Haupterwerb) unbekanntes Terrain.

 

Ausbildung Weiterbildung MSL Eventtechnik
Als Hobby-Tontechniker wusste ich natürlich schon einiges, muss nun aber im neuen Job trotzdem viel Neues lernen. Das macht den Jobwechsel manchmal durchaus anstrengend, aber dafür natürlich auch sehr spannend. (Bild: MSL Eventtechnik)

 

Viele Menschen - so liest man - scheuen sich vor Jobwechseln. Sie scheuen sich gar vor Arbeitgeber-Wechseln. Sie bleiben auf ihrer vermeintlich sicheren Stelle, auch wenn sie damit nicht (ganz) glücklich sind. Ich kann diese Haltung nachvollziehen. Aber ich glaube nach meinem Wechsel definitiv, dass sie auf Dauer ungesund ist. Wer an seiner Arbeit nicht wirklich Freude hat, der vergeudet zu viel Lebenszeit dafür. 

 

Ein Wechsel braucht Mut, aber dieser Mut lohnt sich. Schon nur deshalb, weil es den eigenen Horizont erweitert. Jüngere Menschen scheinen begriffen zu haben, dass auch die Arbeitswelt eine Welt voller möglicher Entdeckungen ist. Sie wechseln ihre Stellen häufiger als meine Generation. Ich kann - und das ist neu für mich - diese Einstellung inzwischen verstehen. In diesem Sinne: Seid mutig. Denn es gibt ja schliesslich auch einen Weg zurück, falls man doch mal die falsche Abzweigung gewählt haben sollte.

 

Ein neuer Job macht keinen neuen Menschen

Dieser Blogpost ist ein ganz persönlicher Text ohne Anspruch auf globale Gültigkeit. Ich trage einige der niedergeschriebenen Gedanken schon länger in mir und musste sie loswerden. Sicherlich hätte dieser Text mit etwas mehr Zeit und Sorgfalt noch stringenter und besser werden können, aber dafür fehlt mir auch nach meinem Jobwechsel leider die Zeit.

 

Denn klar ist auch: Ich selbst habe mich nicht verändert. Ich suche noch immer stets neue Herausforderungen und habe die Tendenz, eher zu viel als zu wenig Projekte zu starten. Die durch meinen Jobwechsel (und eine damit verbundene leichte Pensenreduktion) gewonnene Zeit habe ich längst mit neuen Aufgaben ausgefüllt. Ein Jobwechsel allein ist also wohl kein Wundermittel.

 

Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass Arbeit mit Sinnhaftigkeit verbunden ist. Ich habe immer schon hohe Arbeitslast vor allem dann gut ertragen, wenn ich in meinen Tätigkeiten einen Sinn gesehen habe - für mich persönlich oder für die Mitwelt.

 

Diese für mich sehr zentrale Erkenntnis habe ich nicht erst mit meinem Jobwechsel gelernt, sondern schon Jahre vorher. Denn abschliessend ist mir wichtig festzuhalten: Ich war gerne Journalist. Ich bin gerne Veranstaltungstechniker. Ich habe SRF sehr geschätzt, ich schätze MSL sehr. Ich war zufrieden. Ich bin es immer noch.

 


Disclaimer

Früher habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass ich diesen Text in meiner Freizeit geschrieben habe und er damit nicht durch Serafe-Gebührengelder finanziert ist. Dieser Disclaimer ist nicht mehr notwendig.

Ich weise aber gerne darauf hin, dass ich Blogbeiträge immer noch in meiner Freizeit schreibe und dass ich ein vehementer Befürworter der Mediengebühr bin und deshalb ein entschiedener Gegner von Kürzungen beim öffentlichen Medienhaus.

Wer mehr wissen will, informiere sich gerne bei der Allianz Medienvielfalt


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